Schicksal und eigener Wille

AMARYLLIS

5. Vortrag im Mai 1981,  Jockgrim

M. stellt seine Frage: „Ich habe heute schon einmal die Frage gestellt, wie die Beziehung zu sehen ist zwischen Schicksal und eigenem Willen.“

Antwort:
Das ist ein Gebiet, das natürlich in einer Sitzung nicht abgehandelt werden kann, das wirst du selbst einsehen. Aber diese Frage ist hochinteressant! Darauf haben wir eigentlich gewartet - Dieses Vergleichen, oder dieses Unterscheiden von einer - von einem Lebensablauf, der in gewisser Beziehung vorgezeichnet ist und trotzdem als ein - ich möchte so beginnen: Ein Wesen, das geboren wird, hat vor seiner Geburt sich selbst ein Ziel gesetzt, das es erreichen möchte. Ein jedes Wesen, das inkarniert wird, ist selbst bestrebt, als Geist - oder als Seele, möchte ich in diesem Falle sagen - als Seele einzuströmen in einen irdischen Körper und als Mensch zu versuchen, einen Lehrweg einzuschlagen, um sich zu bilden, um zu lernen, um gewisse Dinge nachzuholen, die er in seinem bisherigen Leben versäumt hat; um sich zu demütigen unter Umständen, oder sich einer wunderbaren Aufgabe zu opfern; um eine Begegnung zu erleben, die herübergenommen worden ist aus einer anderen Zeit, die belastet ist mit Schicksalen, die noch in einem Zustand des Werdens, des nicht Abgeschlossenen sich befinden. Die einfach gelebt werden müssen, um sagen zu können: Ich habe meine ganzen angefangenen und nicht vollendeten Aufgaben zu einem Ende gebracht. Daß alles im Gleichgewicht ruht. Daß die Waagschalen der Schuld und des Leidens dessen, was man selbst willentlich oder aus Schwäche oder aus Verblendung in seinem Lebensmuster als dunkles Mal ausgebildet hat - daß dieses Dunkle, dieser dunkle Punkt - nicht ausgelöscht oder ungeschehen ist - das gibt es nicht. Eine jede Tat, die verfestigt wird, ist ewig. Aber dieses Dunkle, das ein Wesen ausgeatmet hat, das kann insofern aufgewogen werden, durch ein entsprechendes Ausbilden von Lichtmarken, von Helligkeiten, die alle Fehler, alle schlechten Entscheidungen, alle Lieblosigkeit überstrahlt wie eine Krone.

Das ist eigentlich ein Lebensziel eines jeden Individuums: daß es alle geistigen Ströme in eine solche Harmonie bringt, daß dieses Wesen sich fühlt als ein Lichtpunkt, der verglichen werden kann mit dem absoluten Reinen. Das heißt, daß dieses Wesen im Laufe seiner Schicksale, seiner Inkarnationen, seiner Lehrzeiten zwischen den Inkarnationen, eine Läuterung erreicht hat, die ein Wesen mit Recht sagen lassen kann: „Ich als dieses Wesen hier, ich bin Ein Kind Gottes. Ich bin ein Spiegel dieses absolut Reinen, dieses absolut Lichten, so wie es in euren Worten ausdrückbar ist, als Symbol, als Vergleich. Daß dieses Wesen alle Schlacken abgestoßen hat, die dieses Wesen rauh machen, die es verdunkeln, die es als Gottesebenbild verfälschen. Das also ist das Lebensziel eines jeden Menschen. Und das ist auch sein Wille - eines jeden Wesens...

Nun ist ein Wesen ja nicht ein in sich Bestehendes, das um sich selbst kreist, sondern es ist ein Eingefügtes in das All-Seiende. Es ist nichts anderes als eine Funktion in der All-Funktion; es kann also nur reagieren, es kann nur sich selbst vollenden in einem gewissen Zusammenhange mit - nicht nur mit allen Lebewesen in eurem irdischen Lebenskreise, sondern darüber hinaus mit dem Ursein, mit allen Strömungen, mit allen Schwingungen, im Eingebundensein in alle Relationen. Das habt ihr selbst erlebt und oft erfahren, daß ein Wesen mit bestem Willen sein Ziel nicht erreicht - ohne seine Schuld. Ein Einzelschicksal ist nie unabhängig von den Schicksalen, die dieses Wesen berühren als seine allernächsten anvertrauten Menschen, seine Verwandten, seine Freunde, seine Berufskollegen. Ein jedes Wesen ist eingebunden in die gewisse Kulturstufe seiner Zeit; in eine völkische Ausdrucksform, in seinen Sprachraum, in die Verbundenheit mit den übrigen Einfluß nehmenden Völkern. Und darüber hinaus ist euer Planet eingebunden in ein Planetensystem; und dieses Planetensystem ist eingebunden in tausend andere Bezugssysteme. Und deshalb ist jedes Wesen, das lebt, auch einem gewissen überpersönlichen Schicksal ausgeliefert und eigentlich hilflos verflochten all diesen Einflüssen, die pausenlos auf dieses Wesen einströmen, ohne daß das Wesen das überhaupt zu bemerken braucht, und daß ein Wesen oft ganz schuldlos sein Ziel nicht erreicht. Auch bei seinem Ableben nicht erreicht hat.

Das ist in unserer Welt ganz belanglos, ob ein Wesen dieses Ziel, das es sich vorgenommen hat, trotz besten Willens, trotz seinem Opfersinn, trotz aller Liebe, die es verströmt, nicht erreicht. Ein Wesen, das einen - das das Reine will, das ist, nach unsren Maßen gemessen, nicht anders zu beurteilen, als ein Wesen, das diesen Willen auch schon erreicht hat. Mit anderen Worten: Ein Wille ist in unsren Sphären bereits eine Tat. Und ein Sich-Bemühen ist eine wunderbare Lichtspur, die ein Leben hinter sich läßt, ist wie eine Bereicherung des All-Lichtes um wunderbare Strahlen, die diese Klarheit verstärken wollen.

Und deshalb wollen wir euch trösten und aufmuntern. Wir wollen euch Mut zusprechen! Ein Wesen, das sagt: „Ich habe nichts erreicht, was ich wollte, aber ich habe mich immer bemüht - dieses Wesen ist wie ein lebendiges Licht, das glüht in seiner Reinheit. Und eine Seele, die zu uns kommt mit einem solchen Strahlenkranz, die ist aufgenommen mit einem Jubelchor! Mit einer solchen - mit einem Strom von Licht! Mit einer Musik, mit einem Duft! Wir haben ganz andere Organe, so etwas zu fühlen. Ein solches Wesen ist wie ein Akkord von Farben in einer solchen Schönheit, daß dieses Wesen, wenn es diesen Leib verläßt, selbst singt in unsrem Chore! Ihr könnt euch nicht vorstellen, mit welchem Jubel ein solches Wesen in Empfang genommen wird, von dem vielleicht ein Nachruf sagen wird: „Dieses Leben war gezeichnet durch Leiden, durch schreckliche Schicksale. Und nichts ist gelungen, was dieses Wesen angestrebt hat...“ Das spielt keine Rolle.

Amen

Aber wir freuen uns, wenn ihr noch Fragen stellt. Wir sind selbst so... - ein Geistwesen empfindet viel feiner, das müßt ihr wissen, viel sensibler! Und wir sehen euch hier um uns versammelt mit einer gewissen Ergriffenheit - das fühlen wir. Das ist für uns wie ein Gruß aus eurer Welt - wie eine Hand, die ihr uns entgegenstreckt. Es ist so selten, auch für uns Geistwesen, daß wir sprechen dürfen mit inkarnierten Geschwistern. Es ist so selten, weil eure Welt nicht dazu angetan ist - in eurem heutigen Stadium - zu bejahen, daß es eine geistige Welt gibt, die sich in nichts unterscheidet, in nichts, von eurer Welt, als daß eine gewisse Hartstrahlung euch umfließt - ich will gar nicht sagen eine „Materie“. Auch wir tragen eine Materie. Eure ist nur in etwas verdichteter Form um euch gelegt, während unsere Materie feiner ist, durchlässiger. Und diese Materie der Feinheit läßt uns tiefer leiden, aber auch tiefer freuen! Und deshalb dürfen wir euch sagen: Über diesen Abend freuen wir uns!

Amen