Über die Kunst

AMARYLLIS

3.7.88

Über die Kunst

Steingewordenes Dokument trägt unausgesprochen den Namen des Bildners als geistiges Siegel. Nicht anders definiert das Wort im Zugriff der individuellen Ausdruckskunst ein plastisches Bild des Autoren. Die hohe Kunst liegt nicht im reinen Hammerschlag im Kraftfeld gesammelter Bearbeitungsmethoden. Erst das Zusammenspiel von Absicht und Ausdruck als Instrument für die subtilere Kunst der Nuancierung, Aussparung, Übertragung in Überlegenheit und Fairness auf das spezifische Werkstück, weist den Bildner vor dem Macher aus.

3.7.88

Erinnere dich! Auf der Staffelei umriß Dai das Ungefähre aus der Deutung und Interpretation im originalen charakteristischen Stil seiner Auffassung. Die Strenge und Zucht in der Wahl seiner Strichführung und in der Tönung deiner Verlassenheit traf seinen eigenen Nerv im Verzicht und im Wissen um Erfüllung im Angesicht des eigenen Kraftaktes. Die Kunst des Wartens hast du mich gelehrt, Salóme. Als dein Portrait vollendet war, trug es meine Farbe.

Um Kunst zu “machen”, muß man lieben. Erst in der Vermählung im Berührungspunkt freier Unterwerfung unter die Eigenwilligkeit im kontrapunktischen Werk im selben geistigen Mittelpunkt keimt und blüht die erlöste Zweiheit im Einklang. Und doch gibt es in der unendlichen Nuancierung der Betrachtung kein Kriterium im System einer Klassifizierung, Bewertung oder Einordnung, die verbindlich wäre als Maßstab für Wert oder Unwert, für schön oder “gewollt”. Der Markt allein ist bestimmend. Ein guter Verkäufer macht seine Kunst im Bereiche des Kommerziellen blühen.

4.7.1988

Dieses Ringen auch um Analogien der Form und des Gemeinten beruft sich einzig auf sowohl die Kunst des Gebärers oder des gewagten Bestimmten, als auch auf das Inter-esse an der Übereinstimmung zwischen eigener Ideal-Vorstellung und dem Produkt. Das eigene Erlöstsein in die Befriedigung sagt aber im Widerhall des (nicht zwangsweise) Form-Gewordenen im Hinblick auf ein fremdes Auge nicht zwangsweise “ich fühle mich geliebt und angezogen durch die Inkraft der geistigen Potenz in der Darstellung.” Kunst also vibriert im namenlosen Möglichen oder ist fixiert auf Kataloge, die Willkür nominierter Experten, die Anschauung des Betrachters und die Diffamierung.

Der Sinn im Geschaffenen ruht im ureigenen Schöpfungsakt des Rufers und entzieht sich dem Urteil eines Unbeteiligten. Du selbst wirst angesprochen vom Unausgesprochenen und Angedeuteten und bewegst dich in der Wirklichkeit der Urbilder. Deine Kunst gehört dir, sie formt unbewußten Besitz in die Münze deines eigenen Kurses. Ihr Wert ist absolut und wird nicht gehandelt an der Börse. Der Preis ist hoch, und deine eigene Erfüllung dein Schatz. Wie oft hast du schon gefragt: “Wo ist der Sinn im Werk meiner Mitternacht?” Der Sinn bist du, Amaryllis! Aus dem Geschriebenen spricht die ungenannte Stimme, und im Gesprochenen blüht der Mandelbaum. Die Kunst im schwebenden Wort ist dein Geschenk an die Gebundenen, und das Traumgeborene aus der vibrierenden Saite ist dein Geschenk für die Träumenden. Glaubst du nicht, daß sich die Falter sammeln im Bannkreis des magischen Wasser-Spiegels, der zurückwirft dein Inbild im Lichte

Aradura’s?