Der Tanz des Kranichs

AMARYLLIS

Der Tanz des KranichsDer Tanz des Kranichs

Karte erhalten zum Geburtstag 5.10.90 von Genia Maron.
Bildteppich aus der Neu-Indien-Folge (Paris 1774). Der Apfelschimmel

 

29.7.1990

Der Tanz des Kranichs

Es ist nicht schwierig, in die Symbolik des Kranich-Tanzes einzuflechten eine Erklärung, die einleuchtet und aufhellt die verborgenen Coden im Manuscript. Betrachten wir zunächst unbefangen die Worte Tanz und Ovara.

Mit Ovara ist gesagt und umschrieben die erlösende Melodie im Rhythmus einer vereinbarten gemeinsamen Sequenz von Tonfolgen. Du weißt selbst, daß es Musik bedeutet, sobald die Saite als Bindung zwischen zwei markierten Abhängigen durch eine dritte Kraft zwingend ihre innewohnende Klangfülle ausschöpft und dadurch sich selbst erlebt. Im Grunde durchzieht dieses Tanzlied als Motiv sogar die klagenden und schmerzlichen Färbungen im Zyklus deiner gefaßten Bilderfolge. Denn auch ein verlorenes Klangbild dauert im Wissen.

Dieses Erinnern oder Wirkende im Vergessen bedeutet Verbundenheit in einer anderen Dimension und zugleich Abhängigkeit in der Reaktion. Vernimmt der Partner den Lockruf, ereignet sich spontan Wiederruf, ohne Zutun oder gar reflektiertes, berechnetes Übernehmen der Tonschwingung. Die Ovara also intoniert die Musik auf der Saite, gespannt zwischen zwei schicksalhaft übereinstimmenden Spiegelhälften.

Aber auch die Farbe wird herangezogen als Auslöser und Stimulans im Sensorium des Seelenvogels:

die satte Farbe im Herzen des Kranichs -

der Herzton ist rot. Aber die Farbe Rot, die das Gold in der Krone erglühen läßt und die Glocke der Kehle zum Schwingen bringt, ist tabu für den Liebesvogel. Denn sein Spiegelbild, verborgen im geschlossenen Herzkammer-Bezirk der Braut, tanzt im Dienste des farblosen Lichts. Aber wer ist das Windlicht?

Mit Windlicht verbindet sich die Vorstellung Ausgesetztsein, Leuchtsignal, Einsamkeit, Nachtkühle und auch Wille zum fragelosen JA im Dienste des Urfeuers. Also spricht die Ovara: “Ich habe dich gefangen, fliehendes Licht, und singe das Lied des vollendeten Reigens. Ich schenke dir meine Stimme und leihe dir meine Kammer des Vergessens. Was du mir schenkst, ist ein Tanz auf der Saite, ist ein Bild im siebten Herzton. Damit wollen wir umschreiben: Die letzte Stufe der Pyramide lebt auch im Sand der Wüste im Fixpunkt ihrer Höhe, und die gebundenen Flügel kennen sich auch im Verzichten auf den Flug in das erlöste Wir. Aber das Wir bedeutet vereintes Gegensätzliches zum Ideal der Idee

Waage im Gleichgewicht.

Amen
Aiwan