Yehudi spricht über die 2. Regel Lins

AMARYLLIS

4.3.1984

Ich bin Yehudi. Immer wenn du die Hände faltest, erinnerst du mich an eine konzentrierte Gin, die zugleich in sich fühlte eine Übertragung der geballten Energie Lins. Dieser Mandarin oder sakrale Bandträger erfüllte die zweite Regel:

Die zweite Regel, die Vorbedingung ist für die Kommunikation zwischen einem Lehrenden und seinem Schüler besagt: Ein Lauschender muß ergriffen werden vom Wesen des Weisen; denn ein Wissen allein ist erlernbar aus Schulbüchern und kann erworben werden im Auswendiglernen des geschriebenen Wortes. Das Wesen der Dinge spricht nicht aus Büchern oder Regeln oder toten Überlieferungen. Was den Schüler fasziniert, ist die Begeisterung, die lebensvolle und spontane Umsetzung der Kernwahrheiten in die persönliche, erlebte, anteilnehmende und zweit-schöpferische geistige Tat, die in ihrer Ursprünglichkeit oder Neugeburt erscheint als Eigenbesitz des Schenkenden, der sozusagen seine eigene Deutung oder Auffassung mit einfließen läßt in den Strom des überfließenden Schatzes in die geöffnete Blumenschale des Empfangenden. Wenn es einem Lehrer gelingt, diesen Strom aus seinem Herzen bluten zu lassen in die entzückte Seele eines Ergriffenen, gleicht die Übertragung eines Potentiales in ein reines Becken einem Liebesakt. Absolut. --

Eure Zusammenarbeit war makellos und mehr als Vermitteln von Wissen. Was du Lin gegeben hast, war Widerhall. Salóme - ich kann dir nicht mehr geben als dein Spiegel faßt, und du kannst mir nicht mehr geben, als dein Bild zurückwirft in meine Farbenskala. Wollen wir nicht Freunde sein? Der Stoff an sich ist neutral, kühl und unpersönlich; ich werde mich bemühen, ihn einzufärben mit meinem eigenen Blut. Willst du mir nicht auch ein Lächeln schenken? So wie Phaidros?
Ich möchte von dir lernen! Was du mich lehren könntest, wäre zum Beispiel die Kunst des Blumenbindens. Manchmal liebt man Dinge, die einem selbst verschlossen sind, und einen trotzdem anrühren im Gefühl oder im Unterschwelligen. -- Doch! Ich liebe die gelben Mohnfelder, obgleich ich sie nie betreten werde! Wenn du mich so anschaust, Salóme, erkenne ich in mir schlafende Ginsterblüten und träumende Lagunen. Ich bin überzeugt, daß die Wärme deiner Seele keimen läßt die wartenden Möglichkeiten. Warum soll ein Schüler nicht selbst schenken oder die Mängel wissen dürfen eines Freundes?

Ich habe mir ein Thema vorgenommen, das (allerdings) zunächst jedenfalls mehr trainiert die technischen Möglichkeiten in deinen Anlagen. Dieses Vorfühlen ist allerdings nicht unterhaltsam und alles andere als amüsant. Darin zeigt sich die Kunst des Meisters, zu wecken Interesse an Lehrstoffen, die im Bewußtsein des Schülers noch nicht aufgetaucht sind oder sogar auf gewissen Widerstand stoßen. Es gibt ein Grundwissen, das erwartet wird je nach der Stufe der Entwickelung eines Lebensraumes, in dem ein  weiser Plan sich Menschen begegnen läßt, die die Liebe lernen sollen. Du bist unglücklich darüber, daß immer mehr Fehler dich irritieren in diesem Manuskript. Diese Unstimmigkeit ist mir völlig klar. Es ist ein Dazwischenfunken deiner Unruhe, die ständig stört unsere Harmonie und Leitfähigkeit. Ich scheue mich, Attila zu bitten, die Betäubung zu intensivieren. Ich weiß, daß du willig bist, aber ich weiß auch, daß Situationen aus dem Gefühlsbereich überwallen können die Strömungen zwischen zwei Freundesseelen ohne Trübung in der Wiedergabe - einzig die Fassung des Bildes entspricht nicht der Regel.

Gute Nacht!